Schon auf der Straße vor dem dreistöckigen, gelb gestrichenen Altbau schallen mir Gitarrenklänge entgegen, die aber, wie sich herausstellt, nicht von Bradley Fish stammen, sondern von dem Musikfestival in einem der benachbarten Pubs. Fish öffnet mir die Tür in grauem T-Shirt und Shorts und kocht uns in seiner schmalen Einbauküche erst einmal einen Kaffee. „Mit dieser Wohnung hatte ich großes Glück“, sagt er, und als er die Balkontür öffnet, sehe ich, warum. Es bietet sich ein Panoramablick über die Dächer des Stadteils Nahlaot, in der Ferne sieht man links die Knesset, rechts Santiago Calatravas nagelneue Hängebrücke. „Das ist der Ort, an dem ich immer leben wollte.“
Geboren ist Bradley Fish im Jahr 1970 im amerikanischen Bethesda (Maryland). Seine Liebe zur Musik entdeckte er, als er zu seiner Bar Mizwa ein Keyboard geschenkt bekam. Später spezialisierte er sich auf Saiteninstrumente, erwarb einen Bachelor-Abschluss im Gitarrenspiel an der Northern Illinois University und verdiente nicht schlecht als Gitarrenlehrer und Studiomusiker. Für Sony-Music nahm er mehrere CDs mit Loops exotischer Saiteninstrumente wie chinesische Zither, appalachischer Dulcimer oder indische Sitar auf. Loops sind kurze musikalische Bruchstücke, die nahtlos mehrmals hintereinander abgespielt werden und von Musikproduzenten in ihre eigenen Stücke eingebaut („gesampelt“) werden können. Wenn in einem Popsong die genannten Instrumente auftauchen, ist es nicht unwahrscheinlich, daß sie von Bradley Fish stammen.
Auch mit eigener Musik feierte Fish Erfolge. 1998 nahm er gemeinsam mit dem Björk-Schlagzeuger Sigttryggur Baldursson die CD „The Aquarium Conspiracy“ auf. Er war gut im Geschäft, genoß einigen Ruhm – und doch brach er vor vier Jahren seine Zelte ab und zog nach Israel. Ich frage ihn, warum.
„Ich war auf der Flucht vor der Polizei“, sagt Fish. „Nein, das war nur ein Scherz. Der Hauptgrund war, daß ich jüdische Mädchen kennenlernen wollte“, sagt er immer noch mit einem Grinsen. „In Wisconsin, wo ich zuletzt gewohnt habe, gibt es kaum Juden. Und ich wollte schon ernsthaft mit einer jüdischen Frau zusammen sein. Im Moment bin ich aber wieder solo.“
Die jüdischen Mädchen machten ihn auch Internetnutzern bekannt. Sein Video „Jewish Girl Blues“ wurde auf YouTube seit seinem Erscheinen vor einem Jahr bereits mehr als 300.000mal abgerufen. Auch ich habe Bradley Fish dadurch kennengelernt, daß ich sein YouTube-Video zufällig beim Surfen entdeckt habe. In dem Lied besingt Fish seine Schwierigkeiten, seine diversen Affären zwischen Tel Aviv und Jerusalem unter einen Hut zu bringen – aber auch die amourösen Chancen, die so etwas mit sich bringen kann:
My two Israeli honeys
met in Jerusalem
Them ladies both decided
It was time for a threesome
Well after that encounter
I get a late night call
Them little Jewish girls sure love to ball.
Dann folgt eine weitere Hommage an die jüdische Frau und ihre (angeblichen) sexuellen Vorlieben:
Thai women are gorgeous
So are the ones in Spain
But to be completely honest
Jewish girls drive me insane.
When they drop out of Seminary
They start to lose control
They wanna be spanked and tied up
Lord bless their souls.
Und zwischendurch der Refrain:
I love them little Jewish girls
You know that its true
It commands me in the Torah
And what the good book says I do.
Das Video endet damit, daß er schließlich alle seine Affairen nacheinander heiratet – religiös, versteht sich.
„Ich bekam schon einige verärgerte Zuschriften, sowohl von Ultraorthodoxen als auch von Feministinnen“, erinnert sich Fish. „Dabei ist es als Witz gemeint. Ich habe das Lied schon vor fünf oder sechs Jahren geschrieben, als ich noch gar nicht in Israel wohnte. Die meisten Leute finden es aber lustig und verlangen auf Konzerten immer, daß ich es spiele.“
Seine Alija führte Bradley Fish zunächst nach Tel Aviv, wo ein Bürojob auf ihn wartete. Der wurde ihm aber bald zu langweilig, lieber wollte er wieder Musik machen, und nach einem Jahr zog er nach Jerusalem. „Ich wollte mehr über meine jüdischen Wurzeln erfahren, und dafür schien mir Jerusalem besser geeignet. Außerdem finde ich das Klima hier erträglicher, in Tel Aviv war es mir zu heiß. Und was auch nicht unwichtig ist: In Jerusalem kommt man sehr viel besser mit Englisch über die Runden, so kann ich mein Geschäft auf Englisch betreiben.“
Seinen Ulpan hat Fish zwar begonnen, doch er hatte keine Lust, wieder die Schulbank zu drücken, also brach er ab. „Zum Einkaufen reicht mein Hebräisch. Und es wird allmählich besser. Ich lerne eben langsam.“ Ist ihm Jerusalem nicht zu religiös? „Nein, ich komme mit den Ultraorthodoxen gut klar und ich respektiere sie. Die meisten Israelis sind entweder total religiös oder total säkular. Ich versuche, einen Mittelweg zu gehen. Ich bin nicht besonders religiös, aber traditionsbewußt.“ Dann denkt er kurz nach. „Wenn die Entwicklung so weitergeht und alle jungen Säkularen nach Tel Aviv ziehen, wird es mir in zehn Jahren hier vielleicht auch zu religiös sein. Aber so weit ist es noch nicht.“
Fishs Gitarrenschüler kommen aus dem ganzen Land. Er hat sich inzwischen als Geheimtip herumgesprochen. Die erste Unterrichtsstunde ist immer umsonst, danach kann der Schüler entscheiden, ob er weitermachen möchte. Daneben spielt Fish auch wieder in diversen Bands. Seine ersten Bühnenauftritte in Israel absolvierte er in der legendären Bar „Mike’s Place“. Mit israelischen Stars wie Rami Kleinstein, Arkadi Duchin und Yehuda Poliker stand er schon im Aufnahmeraum.
Sein eigenes kleines Tonstudio hat sich Fish im Bombenschutzraum seiner Wohnung eingerichtet. „Sehr praktisch, denn der ist schalldicht.“ Hier steht auch ein Teil von Fishs Saiteninstrumenten, darunter eine siebensaitige Heavy-Metal-Gitarre, ein Banjo und eine deutsche Zither. Die voluminöse chinesische Zither befindet sich im oberen Stockwerk seiner Maisonettewohnung.
„Hier ist es ein wenig unordentlich“, entschuldigt sich Fish und räumt diverse Kabel beiseite. „Das Internet hat meine Arbeit sehr erleichtert“, erzählt er dabei. „Ich kann mit Musikern überall auf der Welt zusammenarbeiten, ohne meine Wohnung verlassen zu müssen.“ Kürzlich machte Fish Aufnahmen mit dem Schlagzeuger Jerome Bailey, der bereits für den Jazzsaxophonisten George Clinton und für den Hip-Hopper Snoop Dog trommelte. Die beiden Musiker – der eine in New York, der andere in Jerusalem – schickten sich ihre Aufnahmen gegenseitig über das Netz zu.
In Zukunft will sich Bradley Fish gänzlich von Mitmusikern unabhängig machen. Er experimentiert mit einer Spielweise, die sich „life looping“ nennt. „Man spielt einen Gitarrenakkord, tritt auf ein Fußpedal, und das Spiel geht weiter. Dann spielt man Baß und tut das gleiche. So kann ich Schicht um Schicht hinzufügen. Das klingt dann wie eine ganze Band, aber du spielst es ganz alleine“, erklärt Fish. Dafür benutzt er die Software „Ableton Live“, die in einem Startup in Berlin-Mitte entwickelt wurde und von Musikern und DJs weltweit angewandt wird. Derzeit feilt Fish an seinem Solo-Bühnenprogramm, das er am 10. Dezember in „Mike’s Place“ zur Aufführung bringen will. Wenn es klappt, will er damit auch auf Tour in den USA und Europa gehen. Eine neue CD soll es dann auch bald geben.
Und wenn es mit dem weltweiten Erfolg doch nicht klappen sollte, fände Bradley Fish das auch nicht schlimm. „In Israel fühle mich lebendig. Im Moment kommt mir das Leben hier unglaublich leicht vor. Ich kann tun, was mir Spaß macht, und verdiene damit noch Geld.“ Da klingelt es, der nächste Gitarrenschüler steht vor der Tür. Kein Zweifel, Bradley Fish hat seine Nische gefunden. Und sein jüdisches Mädchen, das wird er sicher auch noch finden.
http://www.youtube.com/watch?v=_JkHICw-kLk&hl=de&
(Ursprünglich erschienen auf WELT Online)
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